0051.jpg

In einem engeren Sinn bildet Yoga eines der sechs Systeme der klassischen indischen Philosophie (darshana, wörtl. „Ansicht“ oder „Anschauung“), die jeweils paarweise zusammengehören:

1. Nyaya und  Vaisheshika (pluralistisch)

2. Mimansa und  Vedanta (monistisch)

3. Samkhya und  Yoga (dualistisch)

Diese sechs Dharshanas gelten in Indien als orthodox, weil sie den Veda als höchste Autorität zumindest theoretisch anerkennen. (Andere bedeutende Philosophien Indien lehnen den Veda ab, wie beispielsweise der Buddhismus.) Alle indischen philosophischen Systeme sind lediglich ein Mittel auf dem Weg zur Erlösung von Leid und Wiedergeburt, weshalb sich in Indien Religion und Philosophie im Unterschied zu Europa nur schwer trennen lassen.

Im Unterschied zum monistischen Advaita-Vedanta (advaita: „Nichtzweiheit“; vedanta: „Ende oder Vollendung des Veda“) gehen die dualistischen Systeme Samkhya und Yoga von einer grundsätzlichen Zweiheit aus: Prakriti, das materielle Grundprinzip und Purusha, das geistige Grundprinzip. Diese zwei Grundprinzipien sind nicht miteinander vereinbar und völlig vonneinander getrennt.

Prakriti besteht aus vierundzwanzig Grundelementen, die Samkhya aufzählt (Samkhya,wörtl. „Aufzählung“ des Seienden) und die Welt bilden.

Dagegen ist Purusha das reine Geistprinzip, das nicht in der Welt ist. Im Unterschied zu europäischen Konzeptionen gehört im Samkhya-Yoga Bewusstsein zur materiellen Welt:

„der leuchtende, aber selbst farblose Kristall erscheint rot, wenn eine rote Hibiskusblume hinter ihm steht; so erscheint auch die unveränderliche Geistmonade als handelnd, leidend usw., wenn sich andem mit ihr scheinbar vereinigten Körper, Denkorgan usw. Veränderungen vollziehen“,

schreibt der deutsche Indologe Helmuth von Glasenapp in seinem Buch „Die Philosophie der Inder“ (S. 209). Vielmehrgilt es im Samkhya-Yoga, hinter Prakriti den Purusha zu entdecken und sich somit aus allen weltlichen Verstrickungen zu befreien.

Da wir von Purusha im gewöhnlichen Dasein nichts wissen, hat Yoga eine Technik entwickelt, Purusha in höchster Kontemplation zu erfahren. Dieser Zustand wird im Yoga samadhi genannt. Um das zu erreichen,muss zunächst der psychomentale Fluss des Bewusstseins angehalten und zum Stillstand gebracht werden. Die Ursache des Leidensbesteht nämlich in der Unkenntnis des Purusha.

Deshalb ist der Ausgangspunkt der yogischen Meditation die Konzentration ausf einen Punkt (ekagrata), um den Bewusstseinsfluss zu stoppen. Deshalb definiert Patanjali in den Yoga-Sutras am Anfang:

 „Yoga ist der innere Zustand, in dem das Bewusstsein völlig zur Ruhe kommt.“ (I, 2)

Dann ruhe der sehende Yogi in seiner Wesensidentität, dem Purusha, indem die Hibiskusblütehinter dem Kristall weggezogen wird.

Alle anderen mentalen Zustände seien bestimmt durch die Identifikation mit dem Bewusstsein, und d.h. mit Prakriti. Diese Meditationstechnik bedeutet also nicht zu denken (vgl. lat. meditare, „denken“), sondern das denken abzustellen.

Normalerweise werden wir von den Objekten gedacht, nicht umgekehrt. Deshalb beginnt die Yoga-Meditation mit der Konzentration auf einen Punkt. Auch insofern ist Yoga der Weg zur absoluten Freiheit.

Dies lässt sich freilich nur erreichen, wenn der Yogi frei ist von beispielsweise Besitz oder Macht, Familie und Sexualität, unbequemer Sitzhaltung und desorganisierter Atmung.

Deshalb hat Yoga aus dem Ayurveda eine Kette von acht Gliedern (ashtanga) entwickelt, die den Kern der Yoga-Lehre bilden (siehe vorigen Beitrag).

Was ist Samkhya?

Der Samkhya zählt zu einem der sechs klassischen Philosophiesysteme Indiens (Darsana).

Samkhya und Yoga gehören zusammen, wobei Samkhya mehr als Theorie und Yoga als die Praxis dazu angesehen wird. Sie sind beide dualistische Lehren (Dvaita). Die Samkhya-Karika von Ishvarakrsna ist der erste Text in dem das Wort Samkhya auftaucht, sie ist der

Grundtext des klassischen Samkhya. Wir können jedoch bereits im Rg-Veda und den Upanisaden Elemente finden, die später zu dieser Philosophie beigetragen haben. Die Samkhya- Philosophie hat sich im Laufe von Jahrhunderten entwickelt und beeinflusste auch später entstandene philosophische Schulen.

Samkhya heisst „zählen“, weil dieses System aus einer hierarchischen Aufzählung besteht, in der 25 Tattvas (Prinzipien) aufgezählt werden.

In monistischen Philosophieschulen des Yoga sind bisweilen auch 36 Prinzipien der Existenz bekannt (Beitrag zu einem späteren Zeitpunkt).

Eigentlich könnte man das Ganze als eine Art Schöpfungs- Erlösungsmodell bezeichnen. Ein Modell, über die Entstehung des Menschen und der Welt (Evolution) und den Weg zurück zur Urnatur – Prakrti und Geist – Purusha (Involution).

„Nach Samkhya ist alles in der Welt erkennbar. Alles Seiende übt eine Wirkung auf Wahrnehmbares aus das erkannt werden kann und den Schluss auf die nicht wahrnehmbareUrsache ermöglicht.“ 1

Die Welt gilt also als Realität und nicht wie im Vedanta als Illusion (Maya).

 

Die Samkhya-Karika erwähnt als erstes die drei grundlegenden Leiden des Lebens:

1. Das Leiden welches von uns selbst verursacht wird.

2. Das Leiden, das durch andere Lebewesen verursacht wird.

3. Das Leiden, das durch Himmelsmächte verursacht wird.

Das Mittel zur Überwindung dieser drei Leiden heisst:

Vyaktavyaktajñavijñana – die unterscheidende Erkenntnis (Vijñana) des Erkennenden (Jña), des Unentfalteten (Avyakta) und des Entfalteten (Vyakta).

Samkhya ist daher ein Weg des Wissens, des Erkennens.

Samkhya lehrt uns, diese Leiden zu überwinden, indem wir den Weg der Entstehung zurückgehen und schliesslich erkennen können, dass Purusha und Prakrti getrennt sind.

 „Samkhya hat immer mit Schöpfung und Erlösung zu tun, d.h. mit der Frage, woraus und wie die Welt und der Mensch entstanden sind, und mit der Frage, wie sich der Mensch der leidvollen Schöpfung wieder entziehen, d.h. von ihr erlöst werden kann“ 1

 

Die Samkhya-Philosophie bezieht sich auf zwei grundlegenden Prinzipien aus. Auf der einen Seite steht der Purusha (das höchste Geistprinzip), welcher weder Schöpfer noch Schöpfung ist, sondern wie ein Zuschauer unbeteiligt die Geschehnisse der Welt betrachtet.

Purusha ist das reine Bewusstsein, er ist das, was in uns wahrnimmt und er ist jenseits von allen Emotionen von allen Handlungen und von allem intellektuellen Denken eines Menschen.

Auf der gegenüberliegenden Seite steht das zweite Grundprinzip nämlich Prakrti die Natur oder die sichtbare Welt. Prakrti ist für jedes Lebewesen dieselbe, das heisst sie ist nur einmal vorhanden, Purusha hingegen gibt es unzählige da jedes Lebewesen individuell einen Purusha besitzt. Prakrti besteht aus den drei Gunas (Eigenschaften) Sattva (Güte), Rajas (Leidenschaft, Aktivität) und Tamas (Trägheit, Finsternis).

Diese drei Eigenschaften stehen in der unentfalteten Urnatur, Prakrti avyakta, in vollkommenem Gleichgewicht. Durch die Anwesenheit des Purusha möchte sich Prakrti aufmerksam machen, indem sie sich zu manifestieren beginnt. Dieser kosmische Tanz den sie vor Purusha aufführt, bringt die drei Gunas aus dem Gleichgewicht und verursacht die ganze Schöpfung.

 

1 Unterlagen C.Guggenbühl / Indologin der Universität Zürich

 

Das Ziel des Samkhya ist die Erkenntnis – Vijñana zu erlangen, dass Purusha und Prakrti voneinander getrennt sind und nicht gleichgesetzt werden dürfen. Dieses rechte Unterscheiden wird Kaivalya (Isolation, Losgelöstheit) genannt. Alles Leiden entsteht durch den Mangel an Unterscheidungskraft von Purusha und Prakrti. Solange wir uns mit dem Körper und der Psyche identifizieren, solange sind wir unwissend oder unfrei, weil wir uns für materiell halten. Dieser grosse Irrtum wird Avidya (Nichtwissen) genannt und kann nur durch Kaivalya beseitigt werden.

Wenn wir das Bewusstsein vollständig von der Materie lösen können, wendet sich Purusha von der Erscheinungswelt ab, und Prakrti verschwindet wie eine Tänzerin die von der Bühne abtritt und zurück bleibt einzig der Purusha.3

Durch die Nähe von Purusha geraten die drei Gunas ins Ungleichgewicht. Doch wie kann Purusha dies beeinflussen, wenn er doch als passiv oder als blosser Zuschauer bezeichnet wird? Das in der Samkhya-Karika beschriebene Gleichnis hat mir sehr geholfen dies besser zu verstehen. Dort wird dieser mysteriöse Einfluss des Purusha auf Prakrti mit der Kraft eines Magnetes verglichen, der, obwohl er selber völlig unbewegt bleibt, Eisenteile in Bewegung zu setzen vermag.

Durch diesen Prozess und das Durcheinandergeraten der Gunas beginnt die Schöpfung. Das heisst Prakrti ist nun nicht mehr im unentfaltetem Urzustand Avyakta sondern im sich entfaltenden Zustand vyakta. Daraus entstehen nach und nach die verschiedenen Tattvas.

Vorerst kommen die feinstofflichen dann die grobstofflichen.

Buddhi (budh = aufwachen; buddha = der Erwachte) ist das erste manifestierte Prinzip das von Prakrti erschaffen wird. Buddhi beinhaltet die acht Bhavas, Seinsweisen oder Veranlagungen, die die Lebensweise eines Menschen bestimmen. Nur eines davon führt zum Ziele des Samkhyanämlich Jñana (Wissen), alle anderen führen zur Wiedergeburt.

Buddhi ist noch nicht abgetrennt von der Natur sondern sie nimmt sich als Teil ihrer Umgebung wahr. Man könnte sich hier ein Tier vorstellen, das zwar ein volles Bewusstsein hat, aber sich trotzdem nicht als eigenständiges Individuum wahrnimmt.

Erst aus der nächsten Kategorie die aus Buddhi entsteht, bildet sich Ahamkara der Ich-Macher oder das Ich- Bewusstsein. Durch Ahamkara beginnt das Nicht-Unterscheiden von Purusha und Prakrti und die falsche Identifikation des Menschen mit der Materie. Ahamkara spaltet nun die weitere Entwicklung auf in zwei Richtungen. Auf der einen Seite entsteht das subjektive

(Mikrokosmos)-, auf der anderen Seite das objektive Universum (Makrokosmos).

Manas – die Denkkraft oder der Intellekt, bildet den ersten subjektiven Aspekt.

Manas steuert die Jñanendriyani und Karmendryani, die von Raja-Guna (Leidenschaft) dominiert werden und das „äussere Instrument“ bilden.

Buddhi, Ahamkara und Manas bilden 3 Die Samkhyakarika zusammen das „innere Instrument“ (Antahkarana), welches psychische Eindrücke speichert.

Die 5 Jñanendriyas (Wahrnehmungsvermögen) sind: Hören, Berühren, Sehen, Schmecken und Riechen. Die 5 Karmendriyas (Tatvermögen) sind Sprechen, Greifen, Fortbewegen, Ausscheiden und Fortpflanzen.

Die Wahrnehmungsvermögen haben ihre Aufgabe im Erkennen, die Tatvermögen im Tun.

„Das Denkvermögen (Manas) bündelt die Informationen und leitet sie an das Ich-Bewusstsein weiter, wo sie in ein Verhältnis zum Individuum gebracht werden und dabei´zum ersten Mal Form annehmen. Der Verstand bereitet das Wahrgenommene auf und bringt es dem Selbst zur Ansicht.“ 2

Das innere und äussere Instrument werden zusammenfassend auch Linga (Seelenmerkmal) genannt es inkarniert sich nach dem Tode des grobstofflichen Körpers weiter, bis es schliesslich bei der unterscheidenden Erkenntnis zurück in die Urnatur eingeht.

Die 5 Tanmatras (feinstoffliche Elemente) und die 5 Mahabhutas (grobstoffliche Elemente) bilden das objektive Universum, welches vom tamasischen Teil des Ahamkara hervorgeht.

5 Tanmatras: Klang, Berührung, Form, Geschmack, Geruch

5 Mahabhutas: Äther, Luft, Feuer, Wasser, Erde

Somit wären alle 25 Tattvas des klassischen Samkhya aufgezählt.

 

Die Erlösung wird erreicht, durch die ununterbrochene Meditation über die Involution, und die daraus erworbene Erkenntnis (Jñana).

 

„Der einzige Weg den der Samkhya weist, ist die ununterbrochene Meditation über die Lehre, dank einer mündliche Unterweisung durch einen Meister, mit Hilfe der traditionellenTexte und unterstützt von wahren Freunden, die die Wahrheit begriffen haben.“3

2 Yoga der indische Erlösungsweg / Elvira Friedrich

3 Tara Michaël / Unterlagen Yogasutra C. Guggenbühl / Indologin der Universität Zürich