brihad-aranyaka upanishad I
oder von tantras, Pferden & Bäumen:
neti neti – nicht dies nicht das.
Anbei eine wunderbare Passage der brihad aranyaka upanishad die das höhere Wissen des Mystikers und yogins ausdrückt, über den einen unteilbaren Grund des Seins weiß und der, wie der Seher Yajnavalkya, voller Gewissheit erklärt: Aham brahma asmi (geschrieben aham bhramasmi) „ich bin das Absolute“.
Die älteste unter den frühesten upanishadischen Texten ist die brihad-aryanka-(„Großer Wald“) Upanishad, in der der meditative Pfad noch eng mit Konzepten des Opferrituals verbunden ist.
Der Text beginnt mit einer Reihe von Instruktionen zum Pferde-Opfer (ashva-medha)°, das als kosmologisches Geschehen gedeutet wird. Im Verlauf des Opferrituals mimt die Ehefrau des Hauptopfernden einen Geschlechtsakt mit dem toten Pferd, ehe es zerlegt, gekocht und gegessen wird.
Die Parallele zur sexuellen Symbolik des Tantra ist offensichtlich: so wie der tantrische Adeppt während des Geschlechtsverkehrs, verliert auch das Pferd während dieses symbolischen Rituals nicht seinen Samen, doch nimmt die „kopulierende“ Frau die vitale Energie des Pferdes auf. Im späteren Hindu-Tantra wir der yogische Gott Shiva häufig als Leichnam dargestellt, auf dem Shakti, seine Frau, in der Pose der Vereinung sitzt.
Bereits früh sah man im Pferd die Analogie zur Sonne und, nach weiterer symbolischer Ausdeutung, die zum strahlenden transzendenten Selbst.
Das Selbst ist die letztliche Quelle allen Lebens, wird aber wegen seiner transzendentalen Natur angemessener als passiv (wie ein Leichnam); denn aktiv verstanden. Es ist die Energie, die shakti des Selbst- in Form der die menschliche Persönlichkeit und ihr Bewusstsein belebenden Lebenskraft -, die den Zugang zum Selbst herstellt. In der brihad-aranyaka-upanishad wird auf diese symbolischen Assoziationen vage hingewiesen.
So finden wir Spekulationen über den Ursprung der Welt, geboren aus dem einen Sein, das sich selbst aufspaltete – männlich und weiblich – und damit den Kosmos erschuf. Mit dieser kosmologischen Vorstellung geht eine Fundament ethische Überzeugung einher, welch die später kommende Technik der Seelenbefreiung charakterisiert: Weil es essenziell nur das Eine gibt, ist das haften an den vielen Objekten der Welt eine abscheuliche Sünde. Das Eine wird als das Wahre Ziel der Menschheit postuliert. Yajnavalkya, der herausragenden Figur der frühen upanischadischen Periode, werden diese Verse zugeschrieben:
Wie ein Baum, ein Herr des Wald´s
So, wahrlich, ist der Mensch (purusha)
Seine Haare sind die Blätter,
seine Haut die äuß´re Borke.
Wirklich, Blut tropft aus seiner Haut,
wie Harz tropft aus den Rinden.
Drum, wenn die Haut verletzt,
tritt Blut hervor,
wie´s Harz aus dem verletzten Baum.
Sein Fleisch ist gleich der inn´ren Rindenschicht,
die Sehnen gleich der zähen Schicht darunter.
Da darunter sind die Knochen, die dem Holze gleichen.
Das Knochenmark ist wie des Baumes Kern.
Wenn nun ein Baum, nachdem gefällt,
aus seiner Wurzel neu wächst in einen and´ren,
aus welcher Wurzel wachset dann der Sterbliche,
wenn er vom Tod dahingestreckt?
Sag nicht, „vom Samen“,
denn der wird nur im Lebenden hervorgebracht.
Tatsächlich wächst der Baum aus Samen;
Nach seinem Tod sprießt er erneut.
Doch wenn der Baum samt all seiner Wurzeln
vernichtet, sprießt er nicht erneut hervor.
Aus welcher Wurzel wachset dann der Sterbliche,
wenn er vom Tod dahingestreckt?
Er wird einfach geboren (und stirbt dann,
kann man sagen.) Doch nein (sag ich)!
Er wird erneut geboren. Woraus geboren?
Aus dem Bewussten, glücksel´gen brahman,
seiner Zuflucht, die er kennt, in der er weilt.
(3.9.28.1-7)
Diese wunderbare Passage der brihad-aranyaka-upanishad drückt das höhere Wissen des Mystikers und yogins aus, über den einen unteilbaren Grund des Seins weiß und der, wie der Seher Yajnavalkya, voller Gewissheit erklärt: Aham brahma asmi (geschrieben aham bhramasmi) „ich bin das Absolute“.
Der letzte Vers enthält den Schlüssel zum ganzen Gleichnis: Der menschliche „Baum“ wir Kraft seines Karma immer wieder geboren, wie sich aus anderen Textstellen erhellt.
In einem anderen Abschnitt desselben Textet wird diese schier endlose Wiederholung auf das Kraftvollste geschildert:
„So wie die Raupe sich zusammenzieht, nachdem sie´s Ende eines Blatts erreicht´und bevor sie weiterkriecht zum nächsten Blatt, genauso zieht sich dieses Selbst, nachdem´s den Körper abgelegt und Nichtwissen vertrieben hat, zusammen, ehe es sich wieder (einem neuem Körper) nähert.“
Diesem Kreislauf (samsara) ist offensichtlich trostlos; daher lehrten die upanishadischen Weisen die esoterischen Methoden mittels derer die Welt der sich wiederholenden Veränderungen transzendiert werden kann. An anderem Ort in der gleichen Schrift verkündet Yajnavalkya:
„Ich habe ihn gefunden und betreten, den alten, engen Pfad, der sich weit erstreckt: Auf ihm geh´n die weisen Wissenden des Absoluten hinauf zur überirdisch Welt und werden dann befreit.
Er, der´s Selbst gefunden und erwacht im Selbst, das dies bedrohte, widersetzliche Gebild (aus Körper und Verstand) betreten – Er ist der Schöpfer dieser Welt, denn alles hat geschaffen Er. Wahrlich – Er ist die Welt.
Wenn unvermittelt man erkennt dies helle (deva) Selbst, den Herrscher des Geword´nen und dessen, was da wird, dann schreckt man nicht mehr (vor Ihm) zurück.
Die des Lebens Lebenskraft (prana) erkennen, das Aug´ des Auges, das Ohr des Ohrs, des Verstandes Verstand – sie haben jen´s alte uranfängliche Absolute in der Tat erkannt.
Durch den Geist allein wird Es gesehen. In Ihm gibt´s nichts an Unterschieden. Wer Unterschied´nes darin sieht, der erntet Tod, nach Tod nach Tod.
Als Eins, als unermesslich, ewig soll´s gesehen werden. Das Selbst ist makel- und geburtslos, groß und immerwährend, und jenseits des (feinen Elementes) Äthers (akasha)“
Die – mit Unsterblichkeit gleichgesetzte – Seelenbefreiung folgt der Wahrnehmung und Realisierung des Selbst in seiner unwandelbaren Lauterkeit. Eine solche Realisierung geht mit der Transzendierung des menschlichen Funktionssystems aus Körper und Verstand und damit der bedingten Existenz einher. Ja, mehr noch: Die Selbst-Realisierung ist das verborende Programm des Kosmos – ist, was der transpersonale Psychologe Ken Wilber das „Atman-Projekt“ nannte. Wieder illustriert Yajnavalkya diesen Punkt mit einem kraftvollen Vergleich:
„Wie das Meer der einzige Endpunkt allen Wassers ist, die Haut der einzige Endpunkt jeder Berührung, die Nasenöffnung der einzige Endpunkt aller Gerüche, die Zunge der einzige Endpunkt jedes Geschmacks, das Auge der einzige Endpunkt aller Formen, das Ohr der einzige Endpunkt aller Geräusche; wie der Geist der einzige Ort allen Wollens (samkalpa), das Herz der einzige Ort allen Wissens, die Hände der einzige Ort jeder Handhabung, die Genitalien der einzige Ort jedes Vergnügens (ananda), die Füße der einzige Ausgangspunkt jeder Bewegung sind, die Sprache der einzige Ausgangspunkt aller Veden ist – genauso ist dieses (Selbst).“
So wie ein Klumpen Salz, ins Wasser geworfen, sich im Wasser auflöst, und niemand kann ihn wahrnehmen, weil das Wasser überall salzig schmeckt – genauso, mein Lieber, ist dieses große, endlose, transzendente Selbst nur eine (in allem und jedem aufgelöste) Masse von Bewusstsein (vijnana-ghana).“
Weil das Selbst bzw. das Absolute alles ist, was da ist, kann es kein Gegenstand des Wissens sein. Daher sagt Yajnavalkya, dass alle Beschreibungen davon letztlich nur Worte sind, und antwortet auf jede positive Definition des Selbst mit dem Ausruf:
„nicht dies, nicht das“ (neti-neti).
Dieser berühmte Schritt der Negation ist für vedantische Spiritualität grundlegend: Die Yogins der vedantischen Tradition müssen sich ständig daran erinnern, dass alle Zustände und Ausdrucksformen ihres Körper-Geist-Systems, nur für sich genommen, etwas anderes als die transzendente Wirklichkeit darstellen. Das Selbst ist nicht etwas, das innerhalb der begrenzten Welt nicht festgemacht werden könnte. Diese stetig wachsame Unterscheidung heißt viveka, was wörtlich „aussondern“ heisst.
Durch das konstante Anwenden dieser Unterscheidung entwickeln yogins ein feines Gespür sowohl für die äußeren Aspekte ihrer menschlichen Natur wie auch für den ewigen Ursachengrund, der jede einzelne ihrer Erfahrungen begründet. Demzufolge erwacht in ihnen der Wille zur Aufgabe von allem, was aus ihrer Sicht zur veränderlichen Welt gehört.
Unterscheidung und Weltentsagung führen schließlich zur Entdeckung des universalen Selbst, des atman jenseits aller Konzepte und bildlicher Vorstellungen, jenseits allen Wandels.
° ashva-medha war eine große Zeremonie, zu Ehren eines erfolgreich-siegreichen Königs, um die Fortsetzung seiner guten Herrschaft zu gewährleisten. So veranstaltete zB. Im 4. Jh. n. Chr. König Sundragupta, nach seiner Eroberung von dreizehn Königreichen in Südindien, diese verschwenderische Zeremonie. Zu diesem ‚Anlass ließ er Goldmünzen prägen, die auf der einen Seite das Opferpferd, auf der anderen Seite seine Lieblingsfrau darstellten. Die stolze Inschrift auf der Gedenkmünze besagt: „Nach der Eroberung der Erde wird der große Kön ig der Könige mit der Macht eines unbesiegbaren Helden den Himmel erobern.“ Das, soweit bekannt, letzte Pferde Opfer fand im 18. Jh. In Jaipur, Rajasthan, statt.
Comments are closed.