Ein Überblick

Yoga, Philosphie, Literatur & Systeme

 Samkhya & Vedanta

 

Nach dem vedischen Zeit, die mit der Abfassung der Upanishaden ausklingt, beginnt in Indien im ersten vorchristlichen Jahrtausend ein Zeitalter, in dem verschiedene Philosophenschulen populär werden. Eine dieser Schulen heißt Sâmkhya, wörtlich: das, was sich auf Überlegung, Berechnung, Aufzählung bezieht. Die Weltanschauung des Sâmkhya ist von radikaler Nüchternheit und verzichtet auf Vorstellungen von Gott und Schöpfer.

 

 

 

Nach Sâmkhya besteht die Welt aus einer Vermischung von Materie (prakriti) und reinem Bewusstsein (purusha). Die Materie selbst besteht aus drei Arten von Elementarteilchen, den Gunas. Bevor die Schöpfung beginnt, sind diese Teilchen völlig gleichmäßig verteilt.

Sobald diese Gleichmäßigkeit gestört wird, beginnen sich die Teilchen aufgrund einer innewohnenden Dynamik miteinander zu verbinden.

 

Diese Verbindungen werden immer komplexer, und bilden schließlich das ganze Weltall.

 

Irgendwann zerfallen diese Verbindungen wieder, wodurch sich das Weltall auflöst. Zum Schluss sind die Gunas wieder gleichmäßig verteilt (Im HATHA YOGA die höchste Stufe LAYA). Nach einer bestimmten Zeit wird diese Gleichmäßigkeit wieder gestört, und ein neuer Schöpfungszyklus beginnt.


Die Idee der drei Gunas hat sich als sehr praktisch erwiesen bei der Beschreibung von Hindernissen auf dem spirituellen Weg. Dabei geht man davon aus, dass in der menschlichen Psyche immer gerade eines der drei Gunas vorherrscht – und meistens wird der Charakter eines Menschen durch ein oder zwei Gunas bestimmt. Das Ziel des spirituellen Weges ist es, nicht mehr unter der Herrschaft der Gunas zu sein.
Die drei Gunas sind:
Tamas: verleiht Masse, Trägheit
Rajas: verleiht Energie, Tatendrang
Sattva: verleiht Reflektion, Klarheit


Beispiel: In einem Geschäft gibt es drei Verkäufer, Tamas, Rajas und Sattva. Ein Kunde kommt:
Tamas preist ihm einen minderwertigen Ladenhüter an und macht ihm Angst davor, ein anderes Produkt zu kaufen. Rajas redet auf den Kunden ein, zeigt ihm endlos viele Produkte und glänzt mit seinem Wissen. Sattva hört dem Kunden zu und weist leise auf ein besseres Angebot eines Mitbewerbers hin.

GUNA Sanskrit, wörtlich: „Sehne eines Bogens“ und „Eigenschaft“, etwa im Sinne von „roter Faden“. Die Idee der drei Gunas als grundlegende Motivations¬elemente des Menschen wird bereits in der Bhagavad-Gita (vielleicht 500 v. Chr. ± 300 Jahre) beschrieben und hat sich in der spirituellen Psychologie Indiens über die Jahrtausende bewährt.
Swami Someswarananda, Leiter des Vivekananda Centre for Indian Management hat sogar Richtlinien für Management und Verwaltung aus diesem System abgeleitet.


Die Veden
Die Veden sind die älteste Überlieferung Indiens. Nach Auffassung der Hindus haben die Veden keinen menschlichen Autor, sie sind ewig und nur von den alten Sehern geschaut worden. Westliche Indologen datieren die ältere Teile der Veden auf das zweite vorchristliche Jahrtausend, viele Inder sehen sie als noch älter an. Diese mündlich weitergegebenen Überlieferungen werden in vier Gruppen aufgeteilt, die vier Veden.
Jeder Veda (wörtlich Wissen) besteht wiederum aus vier Teilen:


• Samhita – Hymnen (die ältesten Teile der Veden)
• Brahmanas – Ritualanweisungen
• Aranyakas – Anweisungen für Waldeinsiedler
• Upanishaden – Berichte von mystischen Erfahrungen (die jüngsten Teile der Veden)


Die Texte wurden in verschiedenen Brahmanenfamilien überliefert und es gibt von manchen Teilen verschiedene Überlieferungen, manche Teile sind auch verloren gegangen und bei anderen ist die Zuordnung nicht klar.
In spiritueller Hinsicht sind die Upanishaden am interessantesten. Die Tradition besagt, dass es 108 gibt. Shankara hat zu 10 Upanishaden Kommentare geschrieben und diese werden heute allgemein als die wichtigsten angesehen.


In den Upanishaden geht es vor allem um die Erfahrung der Einheit zwischen Brahman, dem Urgrund des Universums, und Atman, dem wahren Selbst des Menschen. Das wird in den vier so genannten Großen Aussagen unterstrichen:
• tat tvam asi – Das [ist es, was] du bist
• prajñânam brahma – Bewusstsein ist Brahman
• aham brahmâsmi – Ich bin Brahman
• ayam âtmâ brahma – Dieses Selbst [in dir] ist Brahman

 

Die Philosophenschulen
Im Anschluss an die vedische Zeit entstanden in Indien verschiedene Philosophenschulen. Einige davon akzeptierten die Veden als Autorität, diese Schulen werden als orthodox bezeichnet. Andere Schulen lehnten die Veden ab. Dies sind der Buddhismus, die Jaina-Religion und die Charvakas (Materialisten).
Von den orthodoxen Schulen sind in spiritueller Hinsicht interessant:


Samkhya – diese Schule versucht die Welt möglichst logisch zu erklären.


Yoga baut auf den Theorien des Samkhya auf und liefert eine praktische Methode.

Tantrabaut auf den Theorien des Vedanta, bzw. Advaita auf und liefert eine praktische Methode. 

Vedanta – Vedanta, wörtlich Veda-Ende, bezieht sich also auf die Upanishaden. Deren Botschaft fasste Badarâyana in seinen Vedanta-Sutras äußerst knapp zusammen

 

Frühphase des Vedanta
Vedanta unterschied sich von den anderen Philosophenschulen dadurch, dass tatsächlich Bezug auf die Veden genommen wurde und damit an die Tradition angeknüpft wurde. Dadurch wurde Vedanta zur grundlegenden Philosophie des Hinduismus, statt eine Schule neben anderen zu sein. Neben den Upanischaden und den Vedanta-Sutras wurde von den Vedanta-Lehrern auch die Bhagavad-Gita als Autorität angesehen. Diese drei heißen Prasthana-Trayam, Quelltext-Dreiheit.


Die Bhagavad-Gita ist ein aus 700 Doppelversen bestehendes Gedicht, welches ein Gespräch zwischen Sri Krishna und Arjuna kurz vor dem Beginn einer Schlacht wiedergibt. Die Bhagavad-Gita gibt eine Synthese verschiedener spiritueller Strömungen und erklärt das Prinzip der Wiedergeburt (der Körper ist wie ein Kleidungsstück, das gewechselt wird), das Prinzip des Karma (egobezogene Handlungen haben entsprechende Gegenwirkungen), das Ideal des Handelns ohne Egowünsche, das Konzept der göttlichen Inkarnation, den Weg der liebenden Hingabe, den Weg der philosophischen Unterscheidung, die Eigenschaften eines im höheren Geist gefestigten Menschen, und weiteres mehr.


Scholastische Phase
Diese Phase beginnt mit Shankaracharya (788-820 n. Chr.), der den Vedanta systematisierte und die besten Teile von Samkhya, Yoga und Buddhismus in den Vedanta integrierte. Nach ihm kamen andere Lehrer, die das Prasthana-Trayam anders verstanden, und konkurrierende Vedanta-Schulen gründeten.
Advaita-Vedanta – diese von Shankara vertretene Auslegung sieht alle wahrgenommenen Unterschiede der phänomenalen Welt als unwirklich an. Alles was existiert ist nichts anderes als Brahman; doch Brahman hat keine Teile oder Unterschiede in sich. Die wahrgenommenen Unterschiede sind wie eine Fata Morgana.


Vishishtadvaita-Vedanta – diese von Ramanuja vertretene Auslegung akzeptiert Unterschiede in der uns umgebenden Welt und zwischen den Menschen als wirklich. Wir sind aber alle miteinander verbunden, wie Blätter die zu ein und demselben Baum gehören. Es gibt eine verbindende Einheit in der Vielheit.
Dvaita-Vedanta – die von Madhva vertretene Auslegung unterstreicht die Unterschiede als unüberbrückbare Wesensunterschiede zwischen den Einzelseelen und Gott. Gott ist und bleibt nach dieser Auffassung fundamental anders.

 

Moderne Phase
Diese Phase beginnt mit Sri Ramakrishna (1836-1886), der das Bindeglied vom alten Indien zur Neuzeit bildet. Durch die Verwirklichung der spirituellen Ziele der indischen Glaubenslehren bewirkte Ramakrishna eine Erneuerung dieser inzwischen ganz theoretisch gewordenen Systeme.

Dieses neu erweckte Leben wurde durch seine Kontakte zu sehr vielen Sadhus und Pilgern in ganz Indien verbreitet. Dadurch, dass er verschiedene Wege bis zu ihrem jeweiligen Ende ging, bildete sein Leben eine sichtbare Einheit, die der Zersplitterung der Lehrmeinungen entgegenstand. Außerdem war er der erste bedeutende Heilige Indiens, der vernünftige Kenntnis ausländischer Religionen hatte und deren Spiritualität erfolgreich praktizierte.

Durch Ramakrishnas Leben wuchs Vedanta von einer rein indischen Philosophie zu einer universellen spirituellen Sichtweise.
Swami Vivekananda (1853-1902) konnte darauf aufbauend zum Ende des 19ten Jahrhunderts weltweit vedantische Impulse setzen.

 

Er legte den Nachdruck auf:


Modernität – Vivekananda benutzt die Sprache der Wissenschaft, um vedantische Zusammenhänge zu erklären.
Integration verschiedener Auffassungen – er erklärt diese als gültige Sichtweisen aus unterschiedlichen Standpunkten.
Praktikabilität – er holt den Vedanta aus der Asketenecke und beginnt damit, dessen Prinzipien als Hilfe für den Alltag des Normalbürgers auszuarbeiten.
Annahme der Herausforderungen des Westens – für die verkrustete indische Gesellschaft waren das westliche Ideal einer offenen Gesellschaft mit Chancengleichheit für alle und das Ideal eines rettenden Gottes, der sich mit den Armen, Kranken und Sündern solidarisiert, eine große Herausforderung. Vivekananda zeigte, dass diese Ideale in voller Übereinstimmung mit dem Vedanta sind.

 

Praxis
Vivekananda betont den Gedanken eigener spiritueller Unternehmungslust und ermutigt jeden, die spirituelle Erfahrung in sich selbst zu entdecken. Die Methoden dafür gruppierte er zu vier prinzipiellen Wegen. Jeden dieser Wege nannte er Yoga. Sein Yoga-Konzept geht damit weit über das Konzept der klassischen Yoga-Philosophenschule hinaus:


Bhakti-Yoga
Ansatzpunkt sind die intensiven Gefühle einer starken Beziehung. Der Strebende baut im Bhakti Yoga eine menschliche Beziehung zu seinem göttlichen Ideal auf. Die konzentrierte Macht seiner Gefühle ist sein Werkzeug zur Herbeiführung der spirituellen Erfahrung.


Jnana-Yoga
Ansatzpunkt ist die Freude an der Nutzung eines scharfen Intellekts. Durch klare Überlegung unterscheidet der Strebende die Substanz von der Erscheinung bei sich selbst und der wahrgenommenen Welt. So befreit er sich von aller Verwirrung durch Unechtes. Dann bleibt das Echte, die eigene wahre Natur, die sich spontan in ihrer Fülle zeigt.


Karma-Yoga
Ansatzpunkt ist das Handlungsbedürfnis.
Statt mit Blick auf späteren Gewinn zu handeln, übt sich der Strebende, selbstlos bei allen seinen Aktivitäten in der jeweiligen Handlung zu stehen.

Jede Handlung soll „Flow“-Erlebnis werden, das Universum und nicht ein kalkulierendes Ego soll durch den Strebenden handeln. Wenn das kalkulierende Ego wirklich zur Seite tritt, wird das Leben selbst zu einer spontanen spirituellen Erfahrung.


Raja-Yoga
Ansatzpunkt ist die Freude am Experimentieren mit den Fähigkeiten des menschlichen Geistes.

Durch gezielte Übungen und Meditationen schult der Strebende seinen Geist und macht ihn zu seinem eigenen Freund. Auf diese Weise entdeckt er neue Fähigkeiten und Wahrnehmungsarten und gelangt so zu immer tieferen spirituellen Erfahrungen.


Die Gegenwart
Inzwischen bringt nicht nur Indien erstaunliche Persönlichkeiten hervor, die sich auf den Vedanta berufen, sondern auch der Westen. Vedantische Grundkonzepte werden außerdem vielfach als hilfreich angesehen, um
die eigene angestammte Religion in ihrer Tiefe neu zu entdecken. Beipiele dafür sind der Franzose Henri Le Saux und der Brite Bede Griffith (beides Benediktiner), die den Vedanta als Hilfe zu einem neuen Verständnis des Christentums ansehen.


Wer Gott nicht in sich selbst findet, wird ihn niemals außerhalb von sich selbst finden. Aber der, der ihn im Tempel der eigenen Seele sieht, sieht ihn auch im Tempel, welcher dieses Universum ist. – Sri Ramakrishna