Yoga, Meditation und Glücksforschung
Glück durch Bedürfnislosigkeit & Nichtanhaften an der Welt?
von Dr. med. Reimar Banis
Quelle: „Spirituelle Energiemedizin“ von Dr. Reimar Banis, erschienen im Via Nova Verlag 2006
Seit Anbeginn der Menschheit haben sich Philosophen und Weisheitslehrer mit der Ausgeglichenheit des Gemüts, der Zufriedenheit und dem Glück beschäftigt. Im Osten des Buddha und der Yogis ging es überwiegend um Bedürfnislosigkeit, Nichtanhaften an der Welt und das Erreichen eines ausgeglichenen Gemütes. Ganz allgemein assoziiert man mit solchen Vorstellungen den weltflüchtigen Eremiten und den Mönch, die das Diesseits als große Täuschung (maya) ansehen.
Dagegen betrachtet der Tantrismus als Sonderform des Hinduismus Diesseits und Jenseits als gleichwertig. Deshalb kann der Tantriker in einem sinnlichen erotischen Liebesakt ein Erleuchtungserlebnis suchen. Wobei hier festgehalten wird, dass es im Tantrismus ebenso wie im Yoga enthaltsame Richtungen gibt (brahmacharis). Bestimmte geometrische Formen wie Mandalas und Yantras, bestimmte Töne wie die heilige Silbe „om“ oder Visualisierungen von Gottheiten bilden das Zentrum der tantrischen Lehre, die sowohl den tibetanischen Buddhismus wie den Hinduismus beeinflusst hat.
Die Grunderfahrung des Yoga sowie aller Meditationspraktiken beginnt mit der aufregenden Entdeckung, die die ersten Yogis im alten Indien irgendwann vor über 2000 Jahren gemacht hatten, dass die Lebensenergie der Aufmerksamkeit folgt. Dieses faszinierende Phänomen, das sich natürlich auch alle modernen Entspannungstechniken wie das autogene Training zu Nutze machen, hängt meiner Meinung nach mit der geistartigen Struktur der Lebensenergie zusammen. Weil die Lebensenergie teilweise aus Geist besteht, können wir sie mit unserem Geist lenken. Natürlich hat Yoga noch mehr im Sinn als nur die Lebensenergie zu dirigieren, so dass es auf dem Weg zur Erleuchtung vor allem die Schulung der geistigen Disziplin, ruhig werden und Gewahr sein braucht.
Normalerweise wissen wir nichts von der geheimnisvoll anmutenden Fähigkeit, unsere Lebensenergie zu lenken. Die Lebensenergie funktioniert beim Durchschnittsmenschen genauso unbewusst und automatisch wie das vegetative Nervensystem. Beide hängen übrigens eng zusammen, so dass vegetative Störungen praktisch immer zu erheblichen Verminderungen der Lebensenergie führen. Diese enge Koppelung beider Systeme erfolgt überwiegend durch die Chakras. Das sind Energiezentren, die mit den wichtigen vegetativen Plexus und zerebralen Schaltzentralen des Vegetativums (Hypothalamus) identisch sind. Unter dem Vegetativum versteht man als Mediziner das autonome, dem Willen nicht zugängliche Nervensystem, das unsere wichtigsten Körperfunktionen wie Herz-Kreislauft, Verdauung, Temperaturreglung steuert, ohne dass wir uns darum zu kümmern brauchen. Wie bei einer Klimaanlage funktionieren diese lebenswichtigen Steuerungsmechanismen automatisch, die unser überleben und die Fortpflanzung sichern.
Eine Ausnahme von der Regel macht die Atmung, die sowohl willentlich gesteuert werden kann, als auch die sowohl willentlich gesteuert werden kann, als auch unbewusst und vegetativ abläuft. Es war für die ersten Yoga Adepten deshalb naheliegend, die Atmung als Vehikel für die Steuerung der Lebensenergie zu benutzen. Man kann die Lebensenergie deshalb nicht nur mit seinem Geist, sondern indirekt auch mit der eigenen Atmung steuern. „Steuern“ bedeutet im umfassenderen Sinn vor allem das Harmonisieren, Kräftigen und Vermehren, denn etwas nur woanders hinzulenken oder hinzusteuern ergibt natürlich wenig Sinn, weil es dann irgendwo fehlt, während es sich andernorts anhäuft. Yoga ist deshalb einmal der Versuch, die eigene Lebensenergie zu vermehren. Es dient dazu, die Ungleichgewichte der eigenen Lebensenergie zu beseitigen und über diese Ausgeglichenheit zur notwendigen inneren Ruhe zu kommen, um tiefere meditationsebenen zu erreichen. Durch die Möglichkeit sich selbst auszugleichen, ist Yoga in gewissen Grenzen auch eine Selbstheilungsmethode um seine inneren Spannungen auszugleichen und die eigenen Energieblockaden aufzulösen.
Nachdem ich viele psychosomatische Energetik untersucht habe, findet man selbst bei Experten große Energieblockaden in Form seelischer Konflikte. Weil diese Blockaden normalerweise deutlich wahrnehmbare Missempfindungen hervorrufen, entsteht der Verdacht, dass Yoga womöglich für manche ein Hilfsmittel darstellt, um mit den eigenen Blockaden besser umzugehen. Pointiert könnte man Yoga in solchen Fällen als eine Form der Kompensationshilfe ansehen, um seine inneren Schwierigkeiten und Energiedefizite auszugleichen, meist ohne sie dauerhaft loszuwerden. Eine Lösung könnte darin bestehen, beispielsweise aus der Körperpsychotherapie bekannte Methoden zu benutzen, um Energieblockaden seelisch und emotional bewusst zu machen und aufzulösen, so dass sie dauerhaft verschwinden. Auf viele Formen der Psychotherapie und Verhaltenstherapie zeigen gute und dauerhafte Erfolge. Eine weitere, von mir propagierte Möglichkeit ist die psychosomatische Energetik um solche Konflikte zu finden und mit speziellen Homöopathika aufzulösen.
Dass die Lebensenergie eng mit der Durchblutung gekoppelt ist, konnte ich eindeutig am Beispiel eines Patienten sehen, dessen Beingeschwüre durch Energiebehandlung abgeheilt sind. Genau dies Koppelung scheint mir der Grund dafür zu sein, warum ein Yogi stundenlang im Schnee des Himalajas sitzt und meditiert ohne Erfrierungen zu bekommen. Letztlich ist die enge Verbindung von Lebensenergie und Blut natürlich auch der Hauptgrund für das Anschwellen der Genitalorgane beim Geschlechtsakt, wo lustvoll empfundene Lebensenergie zu den Genitalorganen strömt. Am Geschlechtsakt kann man dazu anschaulich die Polarität als ein weiteres wichtiges Ordnungsprinzip der Lebensenergie erkennen. Yin und Yang sind elementare Trennungsprinzipien der Vital- und Emotionalenergie, also der niedrig schwingenden Anteile der Lebensenergie. Ihre Aufspaltung führt dazu, dass eine große Dynamik aus der gegenseiteigen Attraktion entsteht. Der Reiz der Sexualität hat deshalb auch ganz entscheidend etwas mit der energetischen Polarität zu tun. Menschen haben unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht zusätzlich eine charaktertypische Polarität, die sie entweder eher Yin-gepolt, „yangig“ oder harmonisch macht. Menschen mit gleicher charaktertypischer Polarität, beispielsweise zwei Yin-gepolte Sanguiniker (hysterischer Charaktertyp), zeigen in der Partnerschaft auf Dauer eher Zeichen sexuellen Desinteresses als gegenpolare Charaktere.
Im alten Griechenland befassten sich Epikureer und Stoiker mit dem Glück und standen sich in ihren Auffassungen diametral gegenüber. Die Epikureer hatten eine hedonistische, materialistische und rationale Einstellung. Sie entspricht in ihren Grundzügen dem Lebensstil und der Grundanschauung des postmodernen Menschen. Epikur sagt kurz und bündig: „ Der Tod geht uns nichts an. Solange wir leben ist der Tod nicht da. Wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr vorhanden.“ Deshalb empfiehlt Epikur, die Furcht vor den Göttern und vor dem Tod zu verlieren. Man solle das Leben stattdessen genießen, womit er nicht die Völlerei, sondern vor allem ein ausgeglichenes, beschauliches Leben im Privaten meint. In erster Linie geht es den Epikureern um einen heiteren Gemütszustand. Die gegenteilige Position wurde von den Stoikern eingenommen. Sie waren pflichterfüllte Vernunftmenschen, deren Ziel es war, leidenschaftslos zu werden und die von Gott (Logos, dem Weltgeist) auferlegte Pflicht zu tun, was Humanität, Sittlichkeit und Pflichterfüllung bedeutet.
Die moderne Glücksforschung konnte mittlerweile zeigen, dass Glück besonders dann empfunden wird, wenn Menschen sinnstiftende Gemeinschaftsaufgaben erledigen. Insofern erscheint der alte Gegensatz von Epikurern und Stoikern zumindest in diesem Punkt künstlich zu sein. Ich persönlich glaube, dass Gegensätze wie zwischen den altgriechischen Schulen ohnehin konstruiert sind und deshalb an der Realität vorbeigehen. Trotzdem waren diese philosophischen Schulen wichtig, weil sie bestimmte Grundhaltungen späterer Zeiten vorwegegenommen haben, etwa den sinnenfrohen Materialisten und den sittenstrengen Calvinisten.
Alle spielerischen Tätigkeiten und schönen Phantasien sind eine weitere wichtige Quelle für Lebensfreude. Zwar weiß das jedes Kind, doch man vergisst es als Erwachsener allzuleicht. Deshalb führt alles, was Spaß und Freude bereitet zu höheren Emotionalwerten und dadurch zu mehr Lebensenergie. Der Karneval ist ein klassisches Paradebeispiel dafür, dass Spaß auch für den Erwachsenen ein wichtiger Quell der Lebensfreude ist. Die Lachtherapie des indischen Arztes Dr. Madan Kataria hat deshalb so großen Erfolg, weil Humor und Lachen universelle Lebensspender sind. Auch die Traumphasen während des Schlafes haben eine wichtige, psychoenergetisch regenerierende Funktion, ebenso die Sexualität mit dem Orgasmus. Grundsätzlich kann man die Sexualität als eine Inszenierung der Natur ansehen, mit der uns der Fortpflanzungsapparat zum Produzieren von Nachkommen verführt, indem er uns psychoenergetisch auflädt und uns dabei glücklich macht. Ohne die mit der Sexualität verbunden Lust wären wir vermutlich längst ausgestorben. Das gemeinsame Element von Lachen, Sexualität und spaß ist dabei der angeregte Emotionalkörper der dazu dient, dass mehr Lebenskraft durch uns durchfließt. Das scheint mir auch der eigentliche Grund dafür zu sein, warum man sich nach befriedigendem Sex ebenso wie nach einer großen Freude energetisch aufgeladen, lebendig und erfrischt fühlt.
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