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Die klassische Literatur des Yoga – Übersicht

Die Urelemente des Yoga entstammen frühesten Epochen der Menschheitsentwicklung. Über yogaähnliche Praktiken geben die ältesten Teile der Veden Auskunft. Sie erwähnen und beschreiben asketische Methoden und Verzückungserlebnisse von noch wenig differenzierter Natur. Es sind vor allem zwei Texte, die Aussagen über diese frühe Stufe der Yogaentwicklung machen: der Rigveda und das Vratya-Buch des Atharvaveda.

Das Yoga-Schrifttum der nachfolgenden Zeiten ist mannigfaltig. Die yogische Idee findet ihren Ausdruck in allen Gattungen der indischen Literatur. Der Yoga erfährt sowohl in den Epen als auch in den Puranas, Agamas und Shastras eine ausführliche Behandlung. Eine kleine Auswahl der wichtigsten Yoga-Schriften soll nachfolgend gegeben werden.

Raja Yoga Schriften

Das Yoga Sutram: Dieses Werk enthält 195 Merksprüche des Patanjali und gilt als der klassische Lehrtext des Yoga.

Das Yoga Bashya: Der älteste Kommentar zum Yoga-Sutram, von Vyasa verfasst im 5./6. Jahrhundert.

Der Yoga-Sara-Sangraha: Dieses Werk des Vijnana Bhikshu ist in erster Linie eine Zusammenstellung älterer Texte, gibt aber wertvolle Definitionen der im Rajayoga verwendete Begriffe.

 

Hatha Yoga – Texte

Hatha Yoga Pradipika: Sie ist eine technische Abhandlung über das psychomentale Training des Hathayoga und setzt sich aus 393 Verspaaren zusammen. Der Text wurde von Svatmanama Yogindra zusammengestellt. Der Hauptkommentar zu dieser Schrift ist die Jyotsna des Brahmananda.

Die Gheranda Samhita: Diese Sammlung enthält die Antworten des Yogin Gheranda auf die Fragen des Suchers Candakapali.

Die Shiva-Samhita: Diser aus 517 Strophen bestehende Text zählt (mit der Hathayoga-pradipika und der Gheranda-samhita) zu den Standardwerken des Hathayoga.

Die Ghoraksha-Samhita: Sie ist eine Abhandlung über den Hathayoga und wurde von Goraksha Natha verfasst.

 

Jnanayoga – Literatur

Die Varaha Upanishad: Diese zum Yaurfveda gehörende „Geheimlehre“ beschäftigt sich mit dem Jnanayoga.

Das Narada Purana: Dieser Text behandelt den Jnana Bhakti- und Karmayoga

Die Akshi Upanishad: Sie gehört zum Krishna-Yayurveda und befasst sich mit dem „Pfad des Wissens“

 

Literatur über verschiedene Aspekte des Yoga

Das Mahabharata: In diesem gewaltigen Heldenepos werden verschiedene Elemente und Fragen des Yoga berührt.

Die Bhagavadgita: „Der Sang der Erhabenen“ ist ein Teil des VI. Buches (Kapitel 25-42) des Mahabharata. Sie behandelt vornehmlich den Karma-, Bhakti-, und Jnanayoga (bhuddi).

Die Kshurika-Upanishad: Sie setzt sich besonders mit Atem- und Konzentrationstechniken auseinander, die das Bewusstsein Glied um Glied „abschneiden“ sollen, bis die Bewegungen des Geistig-Seelischen völlig bezwungen sind.

Die fünf Bindu Upanishad: Sie betonen die Versenkung in das tiefgründige Symbol des nada (nachtönen des gesummten om), der das transzendente Brahman darstellt.

Die Hamsa Upanishad: Sie gehört zum Shukla-Yajurveda und beschreibt den Mantrayoga.

Die Brahmavidya-Upanishad:  Sie ist ein wichtiges Werk über den Mantrayoga

Devi Bhagavata Purana: Es beschreibt die subtilen Elemente der menschlichen Persönlichkeit

 

 

Die Veden

Der Veda – das Wort bedeutet ,,(heiliges, religiöses) Wissen“ – ist der Ausgangspunkt der indischen Geistesge­schichte. Der Gesamtkomplex des vedischen Schrifttums, das den Umfang der Bibel um das Sechsfache übertrifft, setzt sich aus fünf Teilen zusammen:

1.      Die Mantras –              (,,heilige Worte“); dieser Teil enthält Hymnen und Gebetsformeln.

2.      Die Brahmanas –         dies sind Erklärungstexte des Opferrituals.

3.      Die Aranyakas-           (,,Waldtexte“); sie sind Anweisungen  für den im Walde lebenden Einsiedler.)

4.      Die Upanisbaden-     (,,Geheimlehren“); sie sind philosophische Traktate

5.      Die Sutras-                  („ Leitfäden“); dies sind Lehrbücher des Rechts und anderer Wissenschaften.)

 

Der Mantra-Teil des Veda, der im Westen schlechthin als der Veda bezeichnet wird, besteht aus vier Sammlungen“ (samhita), den Handbüchern der vier Priester ,des altvedischen Rituals.

1. Der Rigveda-dies ist ein religiöses Werk, das vorwiegend kultischen Zwecken diente und hauptsächlich Götterhymnen und Lieder enthält.

2. Der Samaveda- das ist das Textbuch der Vorsänger, der zweiten beim vedischen Opfer tätigen Priester.

3. Der Yajurveda- diese ,,Sammlung“ enthält Opfersprüche und -formeln. Vom Yajurveda sind zwei Fassungen bekannt: der ,,weiße“ (shukla) und der ,,schwarze“ (krishna) Yajurveda.

4. Der Atharvaveda- dies ist das Werk, das das Wissen von den Zaubersprüchen enthält.

 

Die Bestimmung des Alters des ältesten Teils des Veda, der Rigveda-Samhita, ist unsicher. Auch über die Herkunft des Rigveda besteht keine übereinstimmende Anschauung. Nach Helmut von Glasenapp ,,scheint diejenige Ansicht vorläufig noch am meisten für sich zu haben, welche Nordwestindien als die Heimat des Veda bezeichnet und die ältesten Teile des Veda aus kultur- und literaturgeschichtlichen Gesichtspunkten der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends vor Beginn unserer Zeitrechnung zuweist.“  

Der Ur-Yoga

Die Wurzeln des Yoga reichen weit über die Zeit der ältesten vedischen Dokumente hinaus. ,,Wir haben Grund, anzu­nehmen, dass schon in der den „Ariern“ gemeinsamen indo­iranischen Epoche des 3. – 2. Jahrtausends v. Chr. religiöse Übungen eine Bedeutung hatten, die in den ursprünglichen Yoga übergingen. Ja, es fehlen sogar die Gründe nicht für die An­sicht, dass schon die früh-indogermanische Völkergemeinschaft dem „Sinnen“ sehr zugetan war. Die zahlreichen altindogermanischen Worte für geistige Betätigung und seelische Bewe­gungen, die bezeichnenderweise in einer gewissen Parallele zu den zahlreichen Worten für Licht und Lichtbewegungen stehen, zeugen dafür.“

Der ursprüngliche Yoga war aufs engste mit der kultischen Praxis des altindischen Menschen verbunden. Dies geht aus dem Rigveda eindeutig hervor. Nur wer es verstand, seine Ge­danken „anzujochen“ (yoga), opferte mit Erfolg. Der typische Ur-Yoga war : die Zügelung der schweifenden Gedanken und das Ausrichten des Denkens auf jene Mächte, zu denen man sich einen Weg bahnen wollte. Diese Gedankenkonzentration führte nicht selten zu Verzückungserlebnissen und Visionen der Gottheit. Neben diesem religiösen Ur-Yoga existierte noch eine grobere Yoga-Form, deren Vertreter durch gewisse Rauschtränke geistige Erlebnisse erzwangen.

II. Die Bedeutung der Vratyas für die Entwicklung des Yoga

 

Die Weiterbildung des sakralen Ur-Yoga vollzog sich in den Bereichen außerhalb des Brahmanismus, vornehmlich in jener Gemeinde, die den Gott Rudra-Shiva verehrte. Im Innern dieser Gemeinde bestanden der Gottheit geweihte Genossen­schaften, die seit altersher den Namen vratya trugen. vratya ist das Mitglied eines Bundes, der durch ein vrata (,,Gelübde“) zusammengehalten wird. In Verbindung mit Musik, Gesang und Tanz entwickelten sich in diesen sakralen Gemeinschaften viele der grundsätzlichen Praktiken und Anschauungen des Yoga.

Die größte Erkenntnis der Vratyas ist ohne Zweifel die Ent­deckung und Erfassung des purusha, des ,,menschlichen Kernwesens“. Dieser Begriff wurde zum zentralen Element der Yoga-Samkhya-Metaphysik.

Diese nicht-orthodoxe Yoga-Bewegung drang ungestüm in den brahmanischen Kultbereich ein. Aber auch das brahmani­sche Ordnungsgefüge nahm einen gewaltigen Einfluss auf alle nicht-brahmanischen Systeme, so auch auf die Vratya-Yoga – ­Gemeinschaften, die schließlich in großen Gruppen zum Brahmanismus übertraten.

 

III. Der upanishadische Yoga

Übersicht

Wie der Yoga, so sind auch die Upanishaden als eine Reaktion auf die strenge Orthodoxie des Brahmanismus anzusehen. Während der Yoga sein Hauptgewicht auf Askese und Meditation legt, ist die Methode der Upanishaden metaphysische Spekulation und Kontemplation. Je stärker diese beiden ketzeri­schen Geistesströmungen wurden, desto mehr beeinflussten sie sich gegenseitig.

Die upanishadischen Denker setzten sich in der Hauptsache mit zwei philosophischen Problemen auseinander: Sie unter­suchten erstens das Verhältnis der Einzelseele (atma) zu Gott (brahma) und stellten zweitens Überlegungen über die Wiederverkörperung und Erlösung an. Hieraus entwickelte sich einer­seits die All-Einheitslehre, die zum Grundprinzip aller vedan­tistischen Philosophien wurde und andererseits die Lehre von Karma und Seelenwanderung.

Das Wort upanishad setzt sich zusammen aus upa (,,nahe“) und shad (,,sitzen“) und hat die Bedeutung von ,,Geheimlehre“. Die Zahl der Upanishaden ist groß; man kennt weit über hundert Texte. Chronologisch werden sie in drei Gruppen geteilt:

 

  • Die ältesten (in Sanskritprosa abgefassten) Upanishaden: Brihadaranyaka, Chandogya, Taittiriya, Aitareya, Kau­shitaki, Kena.
  • Die mittleren (metrisch abgefassten) Vers-Upanishaden: Kathaka, Isha, Mundaka, Shvetashvatara und Mahanarayana.
  • Die mittleren Prosa-Upanishaden :Prashna, Maitrayani und Mandukya.
  • Die jüngeren Upanishaden der Spätzeit: Die für den Yoga bedeutsamsten Texte dieser Gruppe sind: Kaivalya, Brahma, Brahmabindu und Paramahamsa.

Upanishaden der nicht-brahmanischen Tradition

Die Shvetashvatara-Upanishad, eines der prägnanten Doku­mente des Yoga in der Zeit der großen Upanishaden, ist eine nicht-brahmanische Upanishad. Sie lehrt einen akzentuierten Monotheismus. Gott Rudra-Shiva, der absolut Eine, durchdringt die gesamte Welt, jedes Wesen. Verborgen wohnt er im Herzen des Menschen, der ihn erkennen und zu schauen ver­mag, sobald er avidya, das Nichtwissen, überwunden hat. Der Yoga ist dieser ,,Geheimlehre“ ein Instrument zur Erlangung der höchsten Erkenntnis (prajna). Wie weit der yogische Heilsweg schon damals systematisiert und durchgebildet war, zeigt der folgende Text:

,,Er bringe seinen Körper in eine ebene Lage, an drei Stellen (Brust, Hals und Kopf) ihn herausstraffend, konzentriere die Sinne in seinem Innern mit dem Verstande und wird mittels des Brahma-Nachens kundig sich über alle furchteinflößenden Ströme hinwegsetzen. Er hemme seine Atemzüge, reguliere seine Be­wegungen und, wenn der Atem geschwunden ist, hauche er durch die Nase aus. Wie einen Wagen, der von schlechten Rossen gezogen wird, lenke er kundig und aufmerksam sein Manas. (…) Wenn einer, dem Yoga hingegeben, mit der wahren Natur seiner Seele wie mit einem Licht das wahre Wesen des Brahman schaut, dann erkennt er den, der von Ewigkeit besteht, fest und frei von allen Eigenschaften, und wird von allen Fesseln befreit.“

Die Katha- oder Kathaka-Upanishad beginnt mit der Erzählung über Naciketas, jenes Novizen des Ur-Yoga, der durch seinen Vater in die Geheimnisse des Yoga eingeweiht wurde. Auf diese Fabel folgt die Behandlung der wesentlichen Elemente der Yoga-Samkhya-Metaphysik. In diesem Schriftstück, wird purusha zum ersten Male nicht mehr als Objekt der Kenntnis angesehen, sondern als jenes zentrale Sein, das in der ,,Einung“ (samadhi) als , „Istendes“ erlebt wird, betrachtet.

Er (der purusha) kann nicht mit Worten, noch mit Denken, noch auch mit Schau ergriffen werden: „Er ist“, wie anders als indem man es so verkündet, soll man erfassen Ihn. „Er ist“, nur so ist zu erfassen Er, weil, beide desselben Wesens sind. „Er ist“, des so Erfassten Wesen senkt sich herab.“

Neben die Shvetashvatara und die Kathaka tritt noch eine Anzahl anderer upanishadischer Texte, die ihren Ursprung in Bereichen außerhalb des Brahmanismus gefunden haben. So die Culika, Mandukya Mundaka, Prashna, Atharvashikha und die Atharvashira.

 Die Culika-Upanishad gibt eine Zusammenfassung der Yoga-Themen des Atharvaveda. Sie ist wertvoll für das Verständnis der geschichtlichen Beziehung zwischen Yoga und Samkhya.

Die Mandukya-Upanishad besteht aus nur zwölf Strophen. Sie befasst sich mit den vier Bewußtseinszuständen (Wachen, Schlaf, Tiefschlaf und ,,Einfaltung“) und deren Beziehungen zu den vier Moren  (A-U-M und Nachhall) der mystischen Silbe om. Auf dasselbe Thema gehen auch die Prashna, Athar­vashikha, und Atharvashira ein.

 

 

 

Die Yoga-Upanishaden der brahmanischen Tradition

Unter den großen orthodoxen Upanishaden ist die Maitrayani die ergiebigste für das Verständnis des Yoga. Sie behan­delt den Yoga in systematischer Form.

,,So ist die Methode: Beschränkung des Atmens, Zurückziehung der Sinnesorgane, Kontemplation, Festlegung des Denkorgans, Selbstprüfung, Versenkung, das sind die sechs Teile, die man Yoga nennt .,“

Die Upanishad fordert (ähnlich dem Yoga-Sutram) ein radi­kales Aufheben der Bewegungen des Bewußtseins:

,,Wie ein Feuer ohne Brennholz erlischt, so erlischt der Geist in sich“, wenn die Sinnestätigkeit ruht. Der Geist, der in sich erloschen ist, hegt den Wunsch nach der Wahrheit. Wenn er aber von den Sinnesgegenständen betört ist, hegt er die Lüge, die im Dienst des Karman steht. Mit Sorgfalt soll er den Geist – denn der ist dem Samsara untertan – läutern. Wie der Geist ist, so ist er selbst: das ist ein altes Geheimnis. Durch den Frieden des Geistes macht er alles Werk, sei es gut oder böse, zunichte. Wer friedevollen Herzens im Selbst beharrt, erreicht unendliches Glück. Wenn das Herz des Menschen so, wie es an der Sinneswelt haftet, am Brahman hinge, wer würde da nicht von ,,einer Fessel frei ! (….) Der Geist ist für die Men­schen die Ursache von Fessel und Freiheit. Zur Fessel dient das Haften an der Sinneswelt, die Abkehr von ihr zur Freiheit.“

 

Die Atharva-Upanishaden

Die bisher aufgezählten Upanishaden stehen bei den Brah­manen in hohem Ansehen. Die folgenden Texte, zum Teil sehr jung, werden weniger oft von brahmanischer Seite erwähnt. Diesen Schriften ist eines gemeinsam: sie berufen sich alle auf den Atharvaveda, obwohl die Berechtigung dazu sehr gering ist. Da eine chronologische Ordnung dieser späten Schriften vorläufig nicht möglich ist, gliedert man sie nach sachlichen Gesichtspunkten in vier Gruppen:

 

  • Die Samnyasa- Upanishaden: Sie behandeln den Weg der Entsagung.
  • Die Yoga- Upanishaden: Ihr Gegenstand ist der Yoga.
  • Die Samanya-Vedanta-Upanishaden: Sie werden als die Fortsetzung der vierzehn großen Upanishaden betrachtet.
  • Die sektarischen Upanishaden: Sie sind einer bestimmten Gottheit gewidmet.

Die Samnyasa-Upanishaden

Diese ,,Geheimlehren“ sind vorwiegend in Prosastil gehalten. Zu ihnen gehören die Brahma-, Samnyasa-, Aruneya-, Kaitha­tuti-, Jabala- und die Paramahamsa- Upanishad. Diese Texte sind eine Art technischer Handbücher für den Asketen, der sich auf den Vedanta  (,,Veda-Ende“)  beruft.

Nach diesen Schriften besteht das Leben des sanyasin aus vier Abschnitten: Der Strebende beginnt als lernender brahmacarin mit dem Vedanta-Studium, in das er sich unter Anleitung eines guru vertieft. Als grihastha (,,Hausvater“) gründet er eine Familie und erfüllt seine Pflichten als Glied der Gesell­schaft. Im dritten Stadium zieht er sich als vanaprastha in die Waldeinsamkeit zurück. Als sanyasin (,,Entsager“) wandert er schließlich als paramahamsa  (,,Großschwan“) durch die Welt.

Die yogischen Upanishaden

Diese Upanishaden behandeln die gesamte Theorie und Praxis des Yoga, wobei die Betonung auf dem Praktischen liegt.

Zu dieser Gruppe gehören die Kshurika, die Brahmavidya, die Yogashikha und die fünf Bindu-Upanishaden.

Die Kshurika (,,Messer“) – Upanishad setzt sich in der Haupt­sache mit Atem- und Konzentrationsübungen auseinander, die das Bewusstsein Stück um Stück abschneiden sollen, bis nirodha, die völlige Stillegung der Bewusstseinsbewegungen, erlangt ist. Vom Yogin, der nirvana erreicht hat, berichtet sie:

,,Wie ein Licht, das ausgebrannt, im Augenblick des Er­löschens dahinschwindet, so schwindet der Yogin, der alle Be­reiche verbrannt hat, dahin.“ Unter den yogischen Upanishaden nehmen die Bindu (,,Punkt“)-Upanishaden eine besondere Stellung ein. Sie be­tonen die Murmelmeditation mit dem mantram om, wobei auf die Versenkung in den Symbolgehalt des nada (Nachhall), der das absolute transzendente Brahman darstellt, Gewicht gelegt wird. Die Bindu-Upanishaden haben ein theistisches Fundament; Gott-Rudra-Shiva, den wir bereits durch die Vratya -Yoga­ – Kreise kennengelernt haben, ist dabei die ursprüngliche Gottheit.

 

Die Samanya-Vedanta-Upanishaden

Die Upanishaden des Samanya-Vedanta, des ,,gewöhnlichen Vedanta“, stellen weder die Praxis der Entsagung noch die des Yoga in den Vordergrund; sie nehmen auch nicht die Identifi­zierung Brahmans mit den Gottheiten des Volksglaubens vor, sondern behalten die gestaltlosen Qualitäten des höchsten Wesens bei. Im großen und ganzen sind diese Upanishaden als Fortsetzung der Entwicklung, die in den vierzehn großen ,,Geheimlehren“ ihren Anfang genommen hat, anzusehen. Sie versuchen die alten Wahrheiten aufs neue darzustellen. Von der Philosophie des Spätbuddhismus beeinflusst, vertreten sie die Lehre von der Illusion der Vielheit (maya).

Die sektarischen Upanishaden

Diese ,,Geheimlehren“, teilweise die monistisch-pantheisti­sche Philosophie des Vedanta übernehmend, setzen Vishnu, Shiva, Durga oder andere Gottheiten anstelle des Brahman.

Unter den vishnuitischen Upanishaden ragen die  Tapaniya -Upanishaden  hervor. Vielleicht die schönste der sek­tarischen Upanishaden ist die Kaivalya, die dem Gott Shiva gewidmet ist. Zu den sektarischen Upanishaden zählen weiter die der Großen Göttin Durga gewidmete Shakta- Upanishad und die Gopala, in welcher Gott Krishna verehrt wird. Ein interessanter Text ist die Allah- Upanishad, eine Abhandlung über Zauberei, bei der unter anderem auch der Name Allahs angerufen wird.

Der Yoga im Buddhismus

Der im 5./6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ent­standene Buddhismus ist auf den uralten von den Yogins gelegten Fundamenten erwachsen. Es ist deshalb nicht ver­wunderlich, wenn sich viele yogischen Elemente in der buddhi­stischen Heilslehre finden lassen. Im Grunde genommen geht es ja auch beiden Lehren um ein und dasselbe Ziel, nämlich die heilsame Erfahrung des Transzendenten.

Wie im Yoga so sind auch im Buddhismus Versenkung (dhyana) und ,,Einung“ (samadhi) die beiden Kernelemente des Heilsweges, der den Übenden zum nirvana (,,Verwehen, Verlöschen“) führen soll. In der buddhistischen Literatur finden sich darüber hinaus zahlreiche Aussagen über die Verwendung anderer yogischer Praktiken. So benutzt der buddhistische Mönch (bhikkhu) um seine Versenkung zu unterstützen, auch gewisse asana, pranayama und Techniken zur Sinneseinholung (pratyahara). Sogar die ethischen Forderungen des Yoga (yama­ – niyama) sind in den Texten des Buddhismus zu entdecken.

In zwei wichtigen Punkten jedoch unterscheiden sich Buddhis­mus und Yoga:

  • Die buddhistische Lehre lehnt den Glauben an etwas Absolutes (Gott) ab; alles ist dem Gesetz der Zeitlichkeit und dem Vergehens untergeordnet.

  • Der Buddhismus misstraut den Sinneswahrnehmungen. Er fordert deshalb von den Mönchen nicht Hingabe an den Gott, sondern eine strenge Bewusstmachung und Durchklärung der eigenen Person. Damit will er der Gefahr der Sinnestäuschung, wie sie besonders in den volkstümlichen Formen des Yoga stets aktuell ist, entgegentreten.

 

Der Yoga und der Hinduismus

 

Der Hinduismus

Der Yoga in der vedischen Zeit war vereinzelten nicht-orthodoxen Asketen vorbehalten. In der Zeit des Buddhismus gewann er zusehends an Bedeutung und siedelte sich mitten im Herzen des Hinduismus – im Brahmanismus – an.

,,Hinduismus“ ist die Gesamtheit aller religiösen Praktiken, die durch den Veda und den sich darauf berufenden Brahma­nismus sanktioniert wurden. Seine Anfänge fallen in die Zeit des beginnenden Sektentums; er ist somit erst im Laufe des letzten Jahrtausends entstanden.

Der Yoga genoss zu dieser Zeit in allen Schichten des indi­schen Volkes große Popularität. Man verlangte nach einer unmittelbaren religiösen Erfahrung, die vom Brahmanismus nicht gegeben werden konnte. So hielt der Yoga Einzug in das gesamte kulturelle Schaffen lndiens.

In einer bereits stark hinduisierten Form offenbart sich der Yoga in den großen Werken des Hinduismus: in der Bhaga­vadgita und im Mokshadharma.

Der Yoga in der Bhagavadgita

Die Bhagavadgita (,,Der Gesang des Erhabenen“) ist ein Teil des VI. Buches des Mahabharata; sie umfasst 18 Gesänge, in denen Gott Krishna dem Helden Arjuna den Yoga darlegt. In der Gita wird eine Synthese aller Heilswege und deren Integration in den Vishnuismus angestrebt. Das Originelle der Gita ist ihre Lehre vom rechten Handeln (karmayoga) die im folgenden Vers (II, 47) gut ausgedrückt wird.

,,Du hast ein Recht auf das Handeln, aber nicht auf die Früchte deines Tuns. Deshalb lasse die Früchte einer  Tat niemals das Motiv deines Wirkens sein, wende dich auch nicht der Inaktivitat zu. Hieraus wird klar, ,,dass die Bhagavadgita sich bemüht, alle menschlichen Handlungen zu „retten“, jede  profane Handlung zu „rechtfertigen“, denn dadurch, dass er ihre ,Früchte‘ nicht genießt, verwandelt der  Mensch  seine Akte in Opfer.“

Neben diesem ,,Tat-Yoga“ werden in der Shrimad – Bhaga­vadgita – Upanisbad noch andere Yoga-Typen dargestellt. So spricht Gott Krishna über den Buddhiyoga (Yoga der Weisheit), Jnanayoga (Yoga der Erkenntnis), Sanyasa-Yoga (Yoga des Verzichts), Dhyanayoga (Yoga der Meditation) und den Bhaktiyoga (Yoga der selbstlosen Liebe).

Der Yoga im Mokshadharma

Auch der Mokshadharma (,,Erlösungsordnung“), das XII. Buch des Mahabharata, ist ein hervorragendes Yoga-Dokument für die Zeit zwischen dem Buddhismus und dem Yoga-Sutram.

Der Text bringt Überlieferungen der verschiedensten geisti­gen Bewegungen: brahmanische Ethik, Murmelmeditation, Krishna-Kult, Vishnu-Religion und Samkhya-Ideen. Aufschlussreich ist der Mokshadharma im Hinblick auf das geschichtliche Verhältnis zwischen Samkhya und Yoga, die bereits hier als getrennte Systeme beschrieben werden.

 

Das Yoga-Sutram und die Kommentare

Die Grundlage aller Darstellungen und Erklärungen des echten Yoga sind die Yogasutra des Patanjali, der im 2. Jahr-hundert v. Chr. lebte.

Das Yoga-Sutram in seiner uns heute bekannten Form besteht aus vier Büchern  (pada):

  1. samadhipada: Dieser Teil setzt sich aus 51 Merksprüchen (sutra) zusammen und gibt Auskunft über die verschiedenen Mittel zur Bezwingung der Bewusstseinsbewegungen und über die Arten der ,,Einung“.
  2. sadhanapada: Dieses Buch besteht aus 55 Aphorismen und beschäftigt sich mit den Gliedern des Yoga, magischen Fähig­keiten und den unterbewussten Eindrücken.
  3. vibhutipada: Er besteht aus 55 Merksprüchen und geht auf die magischen Fähigkeiten näher ein.
  4. kaivalyapada: Aus 34 Aphorismen bestehend setzt sich dieser Teil mit dem Wesen des Bewusstseins (citta) und seiner Befreiung von der Welt auseinander.

Yoga-sutram ist ,,das Werk, das die Yoga-Merksprüche ent­hält“. Die meisten Gelehrten betrachten das Yoga-Sutram als ein uneinheitliches Werk und sind gegen die Anschauung, dass der Verfasser des Sutram mit dem Grammatiker Patanjali iden­tisch ist.

Als den ältesten Teil, dessen Verfasser der Grammatiker Patanjali gewesen sein mag, bezeichnet der Indologe den  yoganga-Text  der eine Systematik aller Glieder (anga) des Yoga bringt, aber nicht andere wichtige Richtungen des Yoga berücksichtigt, weshalb mit der Zeit noch weitere Schriften angehängt wurden.

Der klassische Kommentar zum Yoga-Sutram ist das Bhashya (,,Rede“) des Vyasa (7./ 8. Jh.). Ein wirkliches Verständnis der Yoga-Philosophie ist ohne diesen Zusatz zum Yoga-Sutram nicht möglich. Von Vacaspatimishra (9. Jh.) stammt eine Glosse die Tattva- Vaisharadi.  König Bohja (Beginn 11. Jh.) ist der Autor des Kommentars Rajamartanda, und Ramananda Sarasvati (16. Jh.) ist der Verfasser der Maniprabha.

 

Der Tantrismus

Die Anfänge des Tantrismus liegen im 4. Jahrhundert n.Chr. 200 Jahre später erhielt diese philosophisch-religiöse Bewegung die Form einer panindischen ,,Mode“. Tantrische Elemente zeigen sich im Buddhismus Hinduismus, Jainismus, kaschmiri­schen Shivaismus und anderen Geistesströmungen.

Tantra kommt von der Wurzel tan (,,ausbreiten, vermehren“) und bezeichnet ,,das, was die Erkenntnis ausdehnt“.

,,Der Tantrismus ist eine Geheimwissenschaft des Rituals, welche mit Hilfe besonderer Zeremonien und sakraler Akte, vor allem durch Verwendung von mystischen Silben, Worten und Sprüchen zauberische Wirkungen erzielen und einen Kon­takt mit dem Transzendenten gewinnen will; er stellt also gewissermaßen eine Erneuerung der magischen Weltanschauung der Brahmana-Zeit auf einer höheren Ebene dar.“

Mit dem Aufkommen des Tantrismus beginnt für den Yoga eine neue machtvolle Entwicklung: Der tantrische Yoga entsteht.

Sein Heilsweg wird im Mahanirvan – Tantra beschrieben, in dem der Gott seiner Göttin (shakti) die Geheimnisse des Yoga enthüllt. Nach ihm besteht der Yoga aus upasana (Gottesdienst), mudra (symbolische Handhaltung), japa (Murmelmeditation) und nyasa (bestimmte Handauflegungen).

Diese Praktiken haben den Zweck, die ,,Schlangenkraft“ (kundalini) im Menschen zu erwecken und durch die subtilen ,,Kanäle“ (nadi) des feinstofflichen Leibes nach oben in das Hauptzentrum, dein Sitze Gottes, zu führen. Sobald die Göttin (kundalini-shakti) mit ihrem Gemahl vereint ist, entsteht für den (sadhaka (,,Verwirklichung“) Befreiung.

Unter dem Begriff des Tantrayoga werden allgemein der Hathayoga, Kundaliniyoga, Shivayoga und Layayoga zu­sammengefasst.

 

 

Die jüngste Entwicklung

Zu Beginn des 2. Jahrtausends n. Chr., mit dem Verschwinden des Buddhismus aus Indien, trat eine allumfassende schöpferi­sche Erstarrung ein, von der auch der Yoga nicht verschont blieb. Der yogische Heilsweg sank immer mehr zu einer mit Magie und Sexualität eng verbundenen Methode herab. Die hathayogischen Texte legen ein beredtes Zeugnis hierfür ab. Auch die Reformversuche Vijnanabhikshus (16. Jh.) konnten (diese Abwärtsentwicklung nicht aufhalten.

Erst Anfang des 19. Jahrhunderts machten sich erste Zeichen einer Renaissance der Yoga-Idee bemerkbar. Durch das popu­läre Wirken von Männern wie Ramakrishna (1834-86), Vivekananda (1862-1902), Aurobindo Goshe (1872-1951) und Ramana Maharshi (1879-1950) erfuhr der Yoga eine kraftvolle Wiederbelebung, die zum ersten Male in der viel­tausendjährigen Geschichte des Yoga auch im Westen nach­haltige Spuren hintelässt.